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Was macht die Mecklenburger eigentlich so liebenswert? – Vier E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
Erstellt von EDITION digital - DER E-Book-Verlag am 10.08.2017
In gewisser Weise geht es in allen vier Deals der Woche, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de eine Woche lang (Freitag, 11.08.17 – Freitag, 18.08.17) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind, um Horizonte – mitunter ganz direkt wie in dem zweiten der beiden Bücher von Renate Krüger, in welchem sie uns mit Henning Schnytker aus Wismar bekanntmacht.
In andere Richtung unterwegs war Waldtraud Lewin, die in Brüssel schon damals manchem Problem begegnete, das wir heute immer noch kennen. Und wir lernen, dass es auch anderswo nicht so einfach ist, mit der gemeinsamen Identität – in Belgien nicht und in MV auch nicht. Trotzdem, das lehrt die Geschichte, darf man nicht aufgeben, sondern muss immer weitermachen. Sozusagen bis zum Horizont.
Und schließlich bekommt die Erde noch Besuch – allerdings von einem unirdischen Raumschiff. Woher es kommt? Und was es auf der Erde will? Lassen Sie sich auf das Abenteuer ein und lassen Sie sich einladen zur Horizonterweiterung. Keine Angst, das ist nichts Schlimmes. Eher im Gegenteil. Und noch immer das Zeichen guter Literatur. Wie sie in diesem Newsletter und in den jeweiligen Deals der Woche angeboten wird.
Erstmals 2007 erschien im damaligen, heute nicht mehr existierenden Godewind-Verlag Wismar das Buch „Mecklenburg. Wege eines Landes“ von Renate Krüger: Über 1000 Jahre Geschichte Mecklenburgs von der Ersterwähnung der Burg Mecklenburg (Michelenburg) in einer Urkunde König Ottos III. im Jahre 995 bis zur Gegenwart: Die Autorin beschreibt die wichtigsten politischen Ereignisse, Stärken und Schwächen der Herrscher, Kirchengeschichte, Kultur, Sprache, kurz, präzise und sehr interessant. Einen breiten Raum nimmt die Identitätsfindung ein: Worin unterscheidet sich der Mecklenburger von anderen Deutschen, was macht ihn so liebenswert? Schlagen wir die „Schatzkammer“ auf und nähern wir uns diesem Land, diesem Mecklenburg – wie Renate Krüger:
„Annäherungen an ein Land
An Darstellungen mecklenburgischer Kultur und Geschichte fehlt es nicht, wohl aber an Nachdenklichkeiten darüber, was und wie denn nun wohl das Mecklenburgische sei. Mecklenburg - das klingt für die einen wie Ultima Thule, der letzte bewohnte Ort kurz vor dem ewigen Eis, für die anderen nach Sommer, Sonne, weiten Feldern und Weideflächen, nach Backsteinrot, Baumgrün, Himmels- und Wasserblau. Mecklenburg gilt vielerorts als Inbegriff nördlicher Gemüthaftigkeit oder sogar Gemütlichkeit, als Land, das einen Fritz Reuter mit seinen unvergleichlichen Figuren hervorgebracht hat, als Land, in dem sich Humor wirklich daran beweist, dass man trotzdem lacht. Die Mecklenburger hatten und haben viele Möglichkeiten zu solchen Übungen.
Mecklenburg ist aber auch ein Land, das häufig unter der Walze war, dessen Bewohner mehr Geschichte erlitten, als selbst gestaltet haben. Für viele Zeitgenossen jedoch ist Mecklenburg nach wie vor ein weißer Fleck auf der Landkarte, daher sollte jeder Impuls zum Entdecken, Erleben und Erfahren aufgegriffen und gefördert werden.
Dass es Mecklenburg gibt, ist unbestritten, wie es dazu kam, kann man rekonstruieren, aber was es mit Mecklenburg und den Mecklenburgern auf sich hat, entzieht sich schneller und hochglanzstrotzender Darstellung. Mecklenburgs Grenzen haben sich durch Jahrhunderte nur wenig verändert. Daher decken sich Kulturlandschaft und Landesgrenzen in einem hohen Maße und haben in der Neuzeit zu einem stabilen Identitätsbewusstsein geführt. Identität wird sichtbar, wenn man den Menschen in seinem kulturellen Kontext betrachtet, das heißt, im Zusammenhang seiner Sprache, seiner Geschichte und in den Grundhaltungen der Entscheidungen des eigenen Lebens, der Geburt, der Ausdrucksformen der Liebe und des Todes. Die Kulturen der einzelnen Nationen sind verschiedene Weisen, sich der Frage nach dem Sinn der eigenen Existenz zu stellen.
Das Bewusstsein mecklenburgischer Identität entstand in mehreren Stufen. Sie bedeutete nicht zu allen Zeiten dasselbe. Ihr Inhalt war nicht immer gleich dicht oder gar selbstverständlich. Seit der Zeit der Auseinandersetzung der nach Mecklenburg einwandernden Kolonisatoren und Siedler mit den landsässigen Slawen bis weit ins 18. Jahrhundert spielte die Frage, ob Freund oder Feind die alles entscheidende Rolle. Zum Begriffsfeld „Freund" gehörte alles Bekannte, Vertraute, Gewohnte, zum Begriffsfeld „Feind" alles Fremde, Unbekannte, Ungewohnte. Die Auffächerung und Verfeinerung, die Differenzierung hielt bis zu den napoleonischen Kriegen an.
Identität ist nichts Homogenes, Unwandelbares, sondern ein Komplex in vielen Formen und in ständiger Veränderung. Der Monarch zum Beispiel, auch der mecklenburgische Landesfürst, sprach im Pluralis majestatis. WIR Herzog von Gottes Gnaden... Alle anderen waren in dieses WIR eingeschlossen. Die Untertanen waren ein Teil dieses WIR, und der Untertan sprach dann logischerweise vom SIE als der 3. Person im Plural, wenn er den Fürsten meinte. Daraus wurde später die Höflichkeitsanrede „Sie“. Es dauerte lange, ehe der Bürger oder gar der Landbewohner ICH sagen konnte und sich mit sich selbst und mit anderen identisch fühlte. Für den Landesherren, bzw. die Landesteilherren bestand die Identität der Mecklenburger darin, dass sie auf seinen Schutz angewiesen und ihm somit untertan waren. In dieser Beziehung sah sich der „Landesvater" gegenüber den „Landeskindern". Die Gewährung dieses Schutzes – so zuverlässig oder unzuverlässig er auch immer sein mochte - fasste man auch in die Begriffe der fürstlichen Huld und Gnade. Ein „gutes" Landeskind durfte auf die Huld und Gnade eines „guten" Landesvaters hoffen und mit ihr rechnen. Auch im Bemühen um eine „gute" Landeskindschaft entstand Identität.
Dieses Modell wurde in weit stärkerem Maße auch auf die kleineren Verhältnisse, auf die Gutsherrschaften, übertragen. Die Leibeigenschaft, die ja nichts anderes bedeutet, als dass der Gutsuntertan zum persönlichen Eigentum des „Herrn" gehörte, der ihm somit Unterhalt und Schutz schuldete, jedoch viel öfter Willkür und Ausbeutung an den Tag legte, ist ein unverwechselbares Element mecklenburgischer Identität von stark prägender Langzeitwirkung. Innerhalb dieses Systems entwickelten sich Wappen und Hoheitssymbole zu Identitätszeichen mit Signalwirkung. Sie sind ein Erscheinungsbild von Gruppenbewusstsein in der Öffentlichkeit. Ein solches Zeichen führen zu dürfen, galt als gesellschaftlicher Gipfel.
Als identitätsstiftendes Element taucht heute immer wieder das symbolische Bild der Wurzeln auf. Das, was aus einer Wurzel wächst, muss nach biologischen Gesetzen identisch sein. Bei der Suche nach Identität spielt daher die Fahndung nach den Wurzeln eine wichtige Rolle. Und da die Wurzeln ja meist unterhalb der Erdoberfläche liegen, nahm das Graben, das Ausgraben, einen immer wichtigeren Rang ein. Die Archäologie, die Wissenschaft von den Altertümern, blieb nicht auf die Stätten des klassischen Altertums beschränkt, sondern nahm sich - in Mecklenburg spätestens seit Lisch - auch der Vergangenheit des eigenen Landes an.
Der Begriff Land hat eine stärker identitätsstiftende Wirkung als der Begriff des Staates. Die äußere, die territoriale Gestalt des mecklenburgischen Staates war zwar schon früh ausgeprägt, die innere Gestalt aber, Identität und Selbstverständnis, erreichte erst spät und nur bedingt Geschlossenheit und Darstellungsfähigkeit. Mecklenburg war immer auf der Suche nach sich selbst, wurde immer wieder in seiner Entwicklung gestört, musste sich immer wieder zu neuem Aufbruch mühsam durchringen. Kriege, Landesteilungen, Verlust der Souveränität, Aufteilung in Bezirke und Kleinkreise, Neubeginn als Mecklenburg-Vorpommern, Kreisgebietsreform - alle diese Stationen und Abschnitte haben Prägungen und Spuren hinterlassen, bezeichnen Stagnationen und Impulse.
Die Geschichte Mecklenburgs hat viele Schichten, helle und dunkle, fruchtbare, geglückte und misslungene. Lernen kann man aus jeder dieser Schichten, vorausgesetzt, man kennt sie ... Je mehr Geschichtswissen, desto mehr Geschichtsbewusstsein, desto mehr Identität. Mecklenburg-Vorpommern ist als neues Bundesland der Bundesrepublik Deutschland inzwischen zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Aber die Verbindung von Mecklenburg und Vorpommern ist ganz und gar nicht selbstverständlich.“
Bereits 1982 hatte Renate Krüger, die sich in ihren zahlreichen Büchern viel mit dem Leben und Schaffen einzelner, höchst unterschiedlicher Künstler, Maler und Schriftsteller befasste, im Leipziger Prisma-Verlag Zenner und Gürchott den Roman über den mittelalterlichen Lübecker Bildschnitzer und Maler Bernt Notke „Türme am Horizont“ veröffentlicht: Jahrhundertelang beherrschte die Hanse den Handel von Brügge bis Nowgorod. Hoch aufragende Kirchtürme begrüßten die Seefahrer in den Städten an der Ostsee. Als der Stern der Hanse zu sinken begann, versuchte man von Lübeck aus, die fern gelegenen Handelsplätze durch kulturelle Einflussnahme an sich zu binden. So verpflichtete der Rat auch den Maler und Münzmeister Bernt Notke (geb. um 1430/40, gest. 1509), dessen Stil tonangebend wurde für die Bildkunst und Plastik der Ostseeländer um 1500. Hauptstrang des Romans ist das Leben des Ich-Erzählers Henning Schnytker, eines Malers aus Wismar, der im Gefolge von Bernt Notke die Hansestädte an der Ostseeküste der Reihe nach kennenlernt. Im Mittelpunkt steht das Gemälde des Totentanzes von Bernt Notke, das für Henning Schnytker zum Schicksal wird. Er bringt ein Fragment der Leinwandrolle nach Reval, dem estnischen Tallinn, und beginnt dort ein neues Leben, unabhängig von den weitausgreifenden Machtinstrumenten Lübecks. Das spannende Buch erschien auch in estnischer Sprache.
Hören wir jetzt einfach zu, was uns der Erzähler gleich zu Beginn des 1. Kapitels zu sagen hat: „Im Schatten der Wismarer Marienkirche wuchs ich auf, ich, der Maler Henning Schnytker. Man hat es schwer, neben einem solchen Turm zu wachsen. Ich fühlte mich immer klein. Mein Vater, Jost Schnytker, besaß ein festes steinernes Bürgerhaus mit Treppengiebel und glasierten Ziegeln in der Straßenfront, das sich neben der riesigen roten Kirche freilich auch klein genug ausnahm. Ehrlich gesagt - ich hatte Angst vor der Marienkirche und wagte es lange Zeit nicht, meinen Kopf ganz hinten in den Nacken zu legen, ihn furchtlos hängen zu lassen, damit meine Augen die Turmfassade hinaufklettern konnten bis dorthin, von wo das Glockensausen kam, das uns Schweigen und Ehrfurcht gebot. Wenn geläutet wurde, verstummte in unserem Hause das Gespräch. Man hätte auch ohnehin kein Wort verstanden.
Mein Vater war Maler, wie auch mein Großvater Maler gewesen war und wie auch ich einer wurde - was denn sonst? Ich lernte die Kunst in der Werkstatt meines Vaters, verlor mit zunehmenden Jahren die Angst vor der großen Kirche mit ihrem hohen Turm, gewann ihn sogar lieb, denn der Glöckner ließ mich, sooft ich es wollte, aus der Glockenstube über Land und Meer schauen. Immer wieder zeigte er nach Westen und sagte: „Dort liegt Lübeck!“ Und manchmal war mir, als sähe ich die Lübecker Türme am Horizont, so wie man von der Insel Poel aus die Türme am Wismarer Horizont sieht. Ich genoss diesen Anblick oft, denn der Bruder meiner Mutter besaß auf Poel ein Bauerngut.
Ich war ein eifriger, wissbegieriger Lehrling, mein Vater konnte sich mit mir sehen lassen. Wir malten Altartafeln und kleine fromme Bilder für Klöster und Wismarer Bürger; wir hatten genug zu tun. Es ging uns gut. Die Einnahmen flossen reichlich. Mein Vater vergrößerte das Haus und die Werkstatt. Lehrlinge aus weniger angesehenen Familien wies er ab. Er war zeitweilig auch Armenpfleger der Stadt, hatte einen Sitz unter den Vorstehern des Heilig-Geist-Spitals und rückte sogar in den Wismarer Rat auf. In diesen Jahren malte er nur noch wenig und setzte alle Hoffnung auf mich: Ich sollte sein Haus leiten und die großen Aufträge ausführen. Ich sollte dem Namen Schnytker noch größeres Ansehen verschaffen.
Aber zunächst schlug für mich die Stunde eines Abschieds. Ich war siebzehn Jahre alt geworden und ging nun auf die Gesellenwanderschaft, und zwar nach Rostock und Stralsund. Dann zog ich auch noch nach Greifswald und sogar nach Prenzlau, aber dort hielt ich mich nicht lange auf. Viel Neues lernte ich unterwegs nicht, und in Stralsund fragte man mich fast vorwurfsvoll, weshalb ich denn nicht nach Lübeck wollte. Allein in Lübeck gäbe es Neues, dort könne man lernen, nur dort lebten angesehene Meister. Alle anderen seien doch nur kleine Pinselfuchser, - wenn auch ehrenwerte, angesehene Leute. Weshalb ich es denn nicht weiterbringen wollte? Diese Frage traf eine empfindliche Stelle in mir. Ich wäre ja gar zu gern nach Lübeck gewandert, aber leider hatte ich dazu weder Auftrag und Erlaubnis, noch besaß ich damals genügend Mut, und es fehlte mir vor allem an Entschlossenheit und ausdauernder Abenteuerlust. „Du hast schon eine ganze Menge gelernt“, hatte mein Vater vor Antritt meiner Wanderung gesagt, „dieser Weg ist nur nötig, damit den Vorschriften Genüge getan wird und die Zunft dich aufnimmt. Es ist nur eine Formsache. Je schneller du die Wanderung hinter dich bringst, um so besser!“ Vielleicht dachte er auch einen kurzen Augenblick lang an Lübeck, aber bei uns dachte man nur an Lübeck und verscheuchte die Gedanken sogleich wieder damit, dass man feststellte, Wismar sei auch nicht die letzte der Seestädte, und eigentlich leide man hier keinen Mangel. Vielleicht fürchteten wir uns vor der Größe und dem Ansehen Lübecks und meinten, wir könnten nicht mithalten. Lübeck - die Königin der Hanse ...
Aber in Wismar war doch auch alles solide und gut und groß genug, und mit Königen und Fürsten hatten wir nichts im Sinn, nicht einmal mit dem mecklenburgischen Herzog, dem wir das Leben so sauer wie möglich machten. Als ich von meiner Wanderschaft zurückkehrte, fand ich unser Haus in Aufregung und Trauer. Mein Vater war gestorben. Er, der so gesund und kräftig wirkte, war das Opfer einer ansteckenden Krankheit geworden. Vielleicht war es sogar die Pest gewesen, nur sprach man das nicht aus, sondern redete nur von einer Halsentzündung. Mein Vater wurde im südlichen Seitenschiff der Marienkirche bestattet, und ich stiftete ihm einen teuren gotländischen Grabstein, von dem zuvor die Gedächtnisworte an einen schon vor hundert Jahren Verstorbenen getilgt worden waren.
Nun war ich plötzlich Besitzer einer großen Werkstatt geworden und selbst noch gar nicht Meister. Um die Werkstatt war es nicht schlecht bestellt, die führte der Altgeselle gut. Fast zu gut, fand meine Mutter. „Du musst dich dranhalten, Henning“, sagte sie, „wir brauchen ihn, aber es wird ihm zu Kopf steigen, wenn wir ihn zu sehr brauchen. Bewirb dich um das Meisteramt, geh noch einmal auf Wanderschaft, wenn es sein muss, aber verliere keine Zeit, sonst arbeitet und wirtschaftet uns der Altgeselle allesamt zum Haus hinaus.“ Meister werden - ja wie? In meinem jugendlichen Alter ... Ich hatte nichts Besonderes vorzuweisen, nichts, womit ich die Vorsteher der Malerzunft hätte beeindrucken können. Da wurde mir ein Angebot zuteil, das ich begierig ergriff, weil es mir großen Erfolg versprach.“
Noch zu DDR-Zeiten, als das Reisen außerhalb einiger Länder für DDR-Bürger nicht nur nicht einfach, sondern geradezu unmöglich war, da bekam Waldtraut Lewin eine Chance, ein ihr bis dahin ziemlich unbekanntes Land kennenzulernen und schrieb über diese, ihre neue Bekanntschaft ein lesenswertes Buch: 1985 erschien im Verlag Neues Leben Berlin „Waterloo liegt in Belgien. Ein Reisebuch“: Belgien? Ein paar Städtenamen, Brüssel, Bruxelles - Zweisprachigkeit. Hauptquartier der NATO, vielleicht noch Manneken Pis ... Wie ist dieses Land wirklich? Zwei Monate lang ist Waldtraut Lewin in Belgien gewesen. Sie wohnt in Brüssel, besucht die Städte Brügge und Leuven, Gent und Toumai, Ostende und Antwerpen, besichtigt die Burg Gottfrieds von Bouillon. Sie schildert ihre Eindrücke von berühmten Gemälden in reich ausgestatteten Museen und ist dem Ursprung des Jugendstils auf der Spur. Und sie lernt die Belgier kennen, Flamen und Wallonen, deren Auseinandersetzungen bis weit in die Historie reichen. Bei der Begegnung mit Künstlern und Studenten, mit Leuten verschiedener Schichten beeindruckt sie der Friedenswille in einem Land, das über Jahrhunderte Schlachtfeld Europas war. So macht sie sich auch auf den Weg nach Waterloo. Doch je näher sie dem Ziel kommt, desto enttäuschter ist sie: „... die Büste Napoleons in jedem Trödelladen an der Straße, in weißem Marmor, die Locke unterm Dreispitz hervorkriechend ... Ich stand kurz vor Waterloo. Ich bin umgekehrt.“ Aber dennoch hat die Lewin wieder viel zu erzählen – wenn auch nicht aus Waterloo und von seinem weltberühmten Schlachtfeld:
„Am Stadtrand die Reichen, drinnen ich
Der „Stadtführer Brüssel“ gibt die Zusammensetzung der Bevölkerung so an: 1 008 715 Einwohner, davon 234 275 Ausländer. Stand 1981. Es sind Türken, Perser, Algerier, aber auch sehr viele Afrikaner, hauptsächlich Kongolesen, die hier wohnen, kinderreiche Familien durchweg, Menschen, die auf eine billige Wohnung angewiesen sind. „Größte Pension Brüssels“ nennt sich mein Quartier - ich weiß nicht, wann die Wirtin die Reklamekarte hat drucken lassen, vielleicht vor dem ersten Weltkrieg. Das Haus ist würdig, schlampig, schlecht beleuchtet und schlecht geheizt. An drei Tagen der Woche übt eine Amateurband von abends bis mitternachts. Man tut gut daran, während dieser Zeit außer Haus zu sein.
Rundum Schmutz und Verfall. Mülltonnen, deren offenbar die Abfuhr nur begrenzt Herr wird, Hundedreck auf den Trottoirs - man geht am besten nur gesenkten Hauptes, falls man drum rumkommen will. Einige Häuser stehen schon auf Abriss; in fast allen noch bewohnten werden Wohnungen zu Kauf oder Miete angeboten. Die alte Population verlässt diese Gegenden, falls sie was auf sich hält, und zieht davon in Richtung Stadtrand. Hier hausen nur noch Leute am Rand des Existenzminimums. Und eben Ausländer.
Fest in ihren Traditionen verhaftet vor allem die orientalischen Frauen, eingewickelt in ihre Kopftücher, verhüllt von weiten Hosen und langen Kaftanen. Aber auch ältere Männer in Burnus und Pantoffeln sind keine Seltenheit. Die ersten Sonnenstrahlen locken sie heraus vor die Türen oder versammeln sie auf den winzigen Plätzen in den kleinen Parks, wie sie es von zu Hause her gewohnt sind. Die Kinder spielen wilde Spiele mit leeren Konservendosen und unterhalten sich in babylonischem Sprachgewirr, die Mütter sitzen auf den Bänken und haben ein Auge drauf, und es bilden sich auch gleich die für den Süden so typischen „Palavergruppen“ von Männern, wo man wild gestikulierend beieinandersteht. Sie haben ihre Heiterkeit, ihren Lebenswillen nicht verloren, und ich bewundere sie. Wenn mir schon trübe zumut ist in diesem regnerischen Land, wie erst ihnen, die aus Gegenden kommen, wo es warm ist und die Menschen herzlicher und temperamentvoller sind. Welch ein Mut der Verzweiflung und welch vitaler Elan müssen vonnöten sein, sich in dieses europäische Abenteuer zu stürzen, für ein besseres Leben, das man sich und den Seinen verschaffen will, und welche Zähigkeit, es auszuhalten! Depressionen sind etwas für Leute, die es sich leisten können, nicht für sie. Auf eine neue Art sind sie Pioniere, Leute, die ausziehen in eine Fremde, um alles zu wagen, die sehenden Auges in ein Land ziehen, das von Anfang an versuchen wird, sie zu erschlagen und zu erdrücken mit seiner technischen Überlegenheit, seiner Sprache, seiner andersartigen Kultur und seinem Lebensverständnis. In Belgien gibt es einige gute Voraussetzungen dafür, dass die schwarzen Augen und die dunklen Haare im Lauf der Zeit eingemeindet werden und Bestandteil der Städte, in denen sie jetzt noch Fremdkörper sind. Zum Beispiel ist Rassendiskriminierung dort unbekannt. Sicher schimpft dieser und jener des Landes verwiesene Kolonialist über die im Kongo, die nun alles allein machen wollen, aber das hat seine spezielle merkantile Nuance. Es würde niemandem einfallen, sich in der Straßenbahn oder im Restaurant nicht neben einen Afrikaner zu setzen, und „gemischte“ Pärchen werden als Selbstverständlichkeit angesehen. Die Wirren in der Historie haben die Belgier tolerant und weltoffen gemacht.
Wer einen Atlas zur Hand hat, sollte die Karte von Belgien betrachten. Da liegt dieses Land, eingequetscht zwischen Frankreich, Deutschland und den Niederlanden, gleichsam mit eingezogenen Schultern. Halb grün, halb mäßig braun sind die Farben auf der Landkarte, und Stadt liegt an Stadt gedrängt, man wusste kaum, wie man die Namen alle hinschreiben sollte. Die Größe? Nun, man kann an einem Tag bequem hin und zurück durchs ganze Land reisen und ist zum Abendessen wieder in seiner Pension in Brüssel. Und organisch wirkt es auch nicht gerade, wie die Grenze verläuft. Willkür scheint im Spiel gewesen zu sein, mehr als einmal.
Solche Gegenden sind nämlich begehrt. Durchgangszimmer der Weltgeschichte, Kreuzwege hoch entwickelter und reicher Kultur haben ihre Chance zur Eigenentwicklung, aber sie sind auch immer in Gefahr, von den Nachbarn verschluckt zu werden. Das Land zwischen Meuse und Ijser war klein, aber wichtig. Die belgischen Provinzen spielten ihre Vermittlerrolle; nicht nur zwischen Frankreich, dem Niederrhein, Deutschland und England war hier der materielle und geistige Umschlagplatz, sondern seit den Kreuzzügen zwischen Orient und Okzident, zwischen Asien und Europa. Der Rolle dieser Gebiete seit dem frühen Mittelalter ist nur die Italiens zu vergleichen, und nur die italienische Frührenaissance ist der Blüte von Malerei und Musik hier oben adäquat, die sich zur selben Zeit entfaltete. Und heute? Auch heute erinnert nicht nur das dichte Eisenbahnnetz, erinnern nicht nur die vielen Straßen daran, dass man hier einzog und durchzog von allen vier Ecken der Welt.“
Apropos Welt mit Ecken. In eine ganz andere Welt mit kosmischen Dimensionen, in der es normalerweise keine Ecken geben sollte, entführt uns Carlos Rasch in seinem erstmals 1967 im Verlag Neues Leben als Heft 258 der beliebten Reihe „Das neue Abenteuer“ erschienenen Buch „Das unirdische Raumschiff: Die Heloiden im Planetensystem der Sonne Epsilon im Sternbild Fluss des Eridanus, zwölf Lichtjahre von der Erde entfernt, entdecken ein fremdes Raumschiff in ihrem Planetensystem. Über Teleportation gelingt ihnen der erste Kontakt mit einem Erdbewohner. Doch bald befindet sich das photonenbetriebene Raumschiff mit den vier Erdbewohnern in allerhöchster Gefahr. In dem spannenden Buch wird auch Bezug genommen auf die Science-Fiction-Erzählungen „Der Untergang der Astronautic“, „Asteroidenjäger“ und „Die Umkehr der Meridian“. Und so geht es los – das neue Abenteuer mit dem unirdischen Raumschiff: „Auf einem der Weißfelsen, die verstreut umherlagen, saß Fra Ult und baumelte mit den Beinen. Sie sah zum Horizont, wo ein Saugwind eine spiralförmige Staubsäule in die Stratosphäre hob. Aber sonst lag die Kalkwüste still und verlassen im Schein der Sonne. Es waren keine Starts und keine Landungen zu erwarten.
Der Raumflughafen, zu dem die Kalkwüste schon von den Vorlebenden auserwählt worden war, bot das übliche Bild: Auf einem Plateau ragte massig und ausladend die Gruppe der Raumtaster, und abseits reckten sich die Sendetürme der Informationsstrahler schlank und spitz in den Himmel. Sie folgten mit langsamer, unmerklicher Bewegung den Bahnen ferner Raumschiffe, die irgendwo die Tiefe des Kosmos durchkreuzten.
Fra Ult nutzte die Zenitzeit und sonnte sich; denn nachher, wenn die Strahlen erst wieder schräg einfielen, wurde es hier in der dünnen Luft der Weißen Hochebene empfindlich kühl. Die kräftige Wärmedusche der Sonne tat ihr wohl. Sie streckte sich voller Behagen. Etwa vierzig Sprünge tiefer, am Ansatz des Hanges, standen säuberlich aufgereiht Raumschiffe. Das sechste von links war „Relais 9“, mit dem in der vergangenen Nacht Seig Prem vom vier Lichtjahre entfernten Nachbarsystem zurückgekehrt war. Er hatte im Auftrage Hyp SARS, des Weisen, die Gäste aus dem System Retipron drei, das in Richtung des Zentrums der Galaxis lag, zum Relais- und Sendeplaneten begleitet. Sie hatten von dort aus mit ihrem Heimatplaneten Verbindung aufgenommen. Nun waren die heloidischen Brüder endgültig abgereist und Seig Prem frei und ohne Auftrag.
Er hatte erfahren, dass Fra Ult auf dem Raumflughafen im Kontaktzentrum Dienst machte. Deshalb war er gleich nach der Landung den Hang hinaufgestiegen, um sie zu sehen. Beide hatten sich lange entbehrt. Fra Ult war ihm über die nächtlich weiße Wüste entgegengegangen. So hatten sie sich nach fast zehn Zyklimaten wiedergesehen. Gewiss, die Trennung, auch wenn sie noch länger gedauert hätte, fiel, gemessen an der Langlebigkeit ihrer Art, nicht sehr ins Gewicht. Aber Trennung war eben Trennung, ob kurz oder lang. Selten wurde zwei Gemeinsamen so etwas zugemutet. Und meist gingen Gemeinsame auch zusammen auf Expeditionen in den Raum. Nur war das diesmal reicht möglich gewesen, denn der Sektor um das Nachbarsystem TAU war, ebenso wie das der Irdischen um SOL, Sperrgebiet. Das SOL-System war vermutlich ebenfalls bewohnt und daher unantastbar; das TAU-System dagegen enthielt den wichtigen Relais- und Sendeplaneten einhundertdreiundzwanzig, der zum Informationsring der Galaktischen Gemeinschaft gehörte.
Ob Seig Prem bereits erwacht und nach der langen Reise schon genug ausgeruht war? Fra Ult hätte ihn gar zu gern angerufen und mit ihm gesprochen. Hinter dem Weißfelsen bewegte sich ein Schatten, und gleich danach wurde Sem 3 Set, der Roboter, sichtbar. Er trat heran und berührte Fra Ult leicht. „Lebende“, redete er sie an, „das Unentbehrlichkeitssignal für dich.“ Fra Ult sah rasch auf ihren Ring und fand seine Mahnung bestätigt. Ein winziges rotes Licht flackerte dort. Sie sprang auf und lief in großen Sprüngen auf den Leitturm zu. Sem 3 Set stolperte hinterher. Er kam nicht so schnell voran wie sie. „Genauso flott, wie es sich für ihre jugendlichen vierzig Zyklimate gehört“, registrierte er. „Jetzt möchte ich ihren Herzschlag und ihre Infrastruktur kontrollieren dürfen. Das würden wahre Prachtexemplare von Messkurven werden.“ Im Eingang zum Leitturm ließ er sich sorgfältig den Kalkstaub absaugen. „Ich verstehe die Vorliebe der Lebenden für urwüchsige Landschaften nicht“, murmelte der Roboter. „Mir bringt dieser Kalkstaub noch einen Großdefekt, aber die Lebenden scheinen sich dabei wohlzufühlen.“
Längst nicht alle Planetenbewohner ließen sich ständig von einem Roboter begleiten. Wenngleich Fra Ult ihn schon seit mehreren Zyklimaten besaß, so war seine Existenz doch nur einer Laune zuzuschreiben. Sie folgte damit im Grunde genommen nichts anderem als einem Spieltrieb. Der beste Beweis dafür war, dass sein Programm auch auf das Kopieren von Emotionen eingerichtet war.
Fra Ult war auf ihrem Platz im Leitturm, einer auf einem schwenkbaren Stützpfeiler ruhenden ovalen Vollsichtkonstruktion, angelangt. Einer der Taster hatte ein Raumschiff an der Grenze des Systems erfasst und die Ermittlungsdaten in die Tiefe des Felsgesteins unterhalb des Weißgebirges geschickt, dorthin, wo schon seit langer Zeit das „Nervenzentrum“ des Raumflughafens mit seinen Kolonnen von Kybernetics eingebettete lag. Der zuständige Koordinierungskybernet für das Kontaktzentrum hatte sofort nach Prüfung des Befundes das Signal „Nicht identifizierbar — Fremdling eingeflogen“ an verschiedene Punkte des Planeten, vor allem aber an das Kontaktzentrum von Fra Ult und an den Rat der Verantwortlichen, gesandt.
Fra Ult schaltete den Unentbehrlichkeitsruf ab und sprach ein Codewort, mit dem sie Einzelheiten der Beobachtungen anforderte. Angestrengt starrte sie auf die entsprechende Signallampe. In rasch folgendem Lichtwechsel und mit unterschiedlicher Lichtintensität. wurden die Informationen ihrem Bewusstsein mitgeteilt. Ihr Erstaunen wuchs von Augenblick zu Augenblick.
Die Ermittlungen des Tasters hatten ergeben, dass ein steuerbarer, aber unbekannter Flugkörper in den Grenzbereich ihrer kosmischen Kontrollzone einflog und sein Tempo dabei ständig herabsetzte.“
Das Abenteuer hat also begonnen. Und jetzt will ich sie weiter stören, bei Ihrer Lektüre …
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