Das geheime Wissen der Huren, merkwürdiges Verhalten einer Schauspielerin und das Orangerot des Müllautos – Drei E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis sowie zwei Superpreis-Angebote für nur jeweils 99 Cents
Erstellt von EDITION digital - DER E-Book-Verlag am 02.02.2018
Was würden Sie dafür geben, könnten Sie durch die Zeiten reisen? Was wäre Ihnen die Chance wert? Und ganz ehrlich, würden Sie dieses Experiment wirklich wollen? Wie es zumindest in der Literatur funktionieren kann, das zeigt Hardy Manthey in seiner erfolgreichen, inzwischen auf insgesamt 16 Teile angewachsenen und nur als E-Books erschienenen Reihe „Die Zeitreisende“. Deren zehnter Teil ist der erste der drei Deals der Woche, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de eine Woche lang (Freitag, 02.02.18 – Freitag, 09.02.18) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind. Diesmal befindet sich Aphrodite, seine Zeitreisende, im Land der Pharaonen. Ägypten ist ein Sehnsuchtsort auch von Hardy Manthey selbst.
Außerdem sind in dieser Woche zwei E-Books von Ulrich Hinse und von Klaus Möckel für eine Woche zum Superpreis von nur jeweils 99 Cents zu haben. Mehr dazu am Ende dieser Ausgabe.
Erstmals 2017 erschien bei der EDITION digital als E-Book unter dem Titel „Im Land der Pharaonen“ als 10. Teil der Reihe „Die Zeitreisende“ von Hardy Manthey – übrigens in 2., stark überarbeiteter Auflage: Hat die Zeitreisende Aphrodite das Ziel ihrer Träume und Sehnsüchte erreicht? Über ein Jahrzehnt lebte sie glücklich an der Seite ihres Mannes. Es waren die schönsten Jahre ihres Lebens. Sie ist in dieser Zeit dreimal Oma geworden. Mit ihrem Wissen und ihrem Geld rettete sie unzähligen Kranken das Leben. Sie baute für die Armen der Stadt und besonders für Frauen ein soziales Netz auf und förderte die gegenseitige Hilfe der Frauen. Sie weckte bei ihnen das Bewusstsein dafür, sich aus eigener Kraft untereinander helfen zu können. Mit ihren Mitteln wurde das modernste Krankenhaus ihrer Zeit errichtet. Heiler aus allen Winkeln des Reiches eilten herbei und tauschten ihr Wissen mit Aphrodite aus. Reiche Römer stifteten gern Geld für ihre Einrichtungen, um ihren Reichtum zu demonstrieren. Aphrodites Macht und ihr Einfluss auf das römische Reich erreichten ihren Höhepunkt. Nach dem Tod ihres Mannes konnte sie sich vor Anträgen der reichsten und mächtigsten Männer kaum retten. Doch für sie gab es nur einen Mann, den sie auch über seinen Tod hinaus liebte. Er würde immer bei ihr sein. Die Zeitreisende hat nur ein Problem: Die geliebten Menschen um sie herum altern, sie aber nicht. Ihre Tochter kann man inzwischen für ihre Mutter halten. Sie muss eine Entscheidung treffen. Wie es weitergeht, erfahren Sie in diesem Teil. Sie erlebt wieder unglaublich spannende Abenteuer und meistert sie exzellent im Ägypten zur Zeit von Ptolemäus X. Alexander I. Der Autor hat mit der 2. Auflage sein Erstlingswerk sehr stark überarbeitet und die kritischen, trotzdem begeisterten Hinweise berücksichtigt. Wir treffen eine nachdenkliche Aphrodite zunächst am Strand:
„Syrakus – 20 Jahre später
Feuerrote Wolken am Horizont kündigen die Sonne an. Nur wenige Augenblicke noch, dann steigt die Sonne aus dem Meer. Ein besonders heißer Tag kann es auch heute wieder werden. Der milde schwache Wind von der See her und die Stille will Aphrodite heute besonders ausgiebig genießen.
Schlafwandlerisch findet Hengst Tachos den Weg zum Strand, findet ihren gemeinsamen Platz, wo Aphrodite zum Baden und zum Meditieren jeden Tag die Sonne begrüßt. Ein Platz am Meer, der scheinbar nur ihr vorbehalten ist. Doch Aphrodite weiß, die Menschen der Antike haben nicht die Muße für Erholung und Entspannung am Meer. Für die meisten Menschen hier hat das Meer etwas Bedrohliches. Nur die wagemutigsten Männer trauen sich auf das offene Meer hinaus. So kann Aphrodite sicher sein, dass auch heute an diesem frühen Morgen der Strand nur für sie alleine da sein wird. Nur die Fischer werden sie vielleicht sehen, wie sie nackt in die Fluten steigt. Volle Netze sind ihnen so sicher, glauben die Fischer bis heute. Aphrodite will nach dieser wilden Nacht in ihrer Villa im Meer endlich wieder einen klaren Kopf bekommen.
Sie springt vom Pferd und setzt sich erst einmal auf einen der großen Steine am Wasser. Ruhe suchend blickt sie der aufgehenden Sonne entgegen. Es ist ein erhabener Moment, wo Sonne und Meer vereint scheinen. Hier findet Aphrodite wieder die Kraft für den neuen Tag. Es ist auch der Moment, wo die fliehende Nacht dem neuen Tag einen letzten Gruß schickt und der Himmel sich wie zum Dank in den schönsten Farben zeigt. Hier findet sie den nötigen Abstand von allem, was sie sonst so belastet. Sie muss über vieles nachdenken. Viel muss neu überdacht und neu entschieden werden, ist ihr längst klar geworden. So kann es jedenfalls nicht mehr weitergehen. Ihre kleine heile Welt hat einen gewaltigen Riss bekommen.
Es war gestern wieder einer der Festtage, die sie lieber ganz schnell vergessen möchte. Alles artete aus und steigerte sich schon ins makaber Absurde. Ihre Tochter Mira mittendrin. Das alles nur, weil ausgerechnet Mira nicht verhüten will. Aphrodite kann das überhaupt nicht verstehen. Zum Glück kennt und hat sie die Mittel, eine Schwangerschaft zu verhindern. Und das zu einer Zeit, wo die Frau es hinnehmen muss, jedes Jahr schwanger zu werden, nur weil sie dem Trieb der Männer nichts entgegensetzen kann. Eine Frau, die es wagt, sich dem Mann zu verweigern, darf hart bestraft werden. So ist es der unumstößliche Wille der Götter. Daran ändert sich auch nichts, wenn Jesus oder der Prophet Mohamed das alte Weltbild der Götter für immer aus den Angeln heben werden. Für Frauen kommt es dann knüppeldick und sie dürfen dann nur noch zu ihrem Mann aufschauen und ihn wie einen Gott anbeten. Ein Jahrhundert trennt sie zu ihrem Glück noch von dieser für Frauen schrecklichen Zeit. Nur sie, die göttliche Aphrodite, hat die schützende Pille und ihre Tochter, die dumme Kuh, will sie nicht nehmen. Dabei müssen die Frauen noch zweitausend Jahre auf diese Wunderpille warten. Doch Mira lehnt jede Art von Verhütungsmitteln rundweg ab. Für sie ist jedes Kind ein Geschenk der Götter. Mira hat jetzt schon drei Kinder. Drei Kinder großziehen, das reicht nach Aphrodites Ansicht. Was alle anderen Frauen natürlich ganz anders sehen. Eine Frau mit zehn Kindern ist hier die Regel.
Viele schwache oder kranke Kinder lassen aber dann jeder Frau doch nur vier oder fünf Kinder. Miras Kinder, Minoa, Thelema und Perselos sind liebe Kinder, zum Glück gesund und wohlgeraten. Sie haben alle einen anderen Vater. Die fremden Väter werden sie vielleicht in ihrem Leben nie sehen. Mira sucht sich immer nur Männer aus, die zwar potent und gut im Bett sind, aber am Morgen danach auf ein Schiff steigen, um ferne Länder zu bereisen oder in den Krieg zu ziehen. Verrückter noch, Mira hofft scheinbar sogar, dass keiner der Väter jemals wiederkommt. Sie begründet ihre herzlose Entscheidung ausgerechnet mit den leidvollen Erfahrungen ihrer Mutter.
Selbst der arme und liebe Titus Anton, der leider viel zu früh verstorben ist, muss dafür herhalten. Die Götter mögen ihr und Mira das vergeben. Gestern Abend hat Mira sich den Mann für das nächste Kind ausgesucht. Sie hat ihm so den Kopf verdreht, dass er blind vor Leidenschaft über sie herfiel. Sie legte es richtig darauf an, dass der Mann, von seinen Trieben geblendet, alles um sich herum vergaß. Sie musste als Mutter mit ansehen, wie ihre Tochter von diesem eingebildeten Ägypter vielleicht wieder geschwängert wurde. So schön für sie auch guter Sex ist, zusehen ist nicht ihr Fall. Der Ägypter zeigte erstaunlich viel Ausdauer. Mira wollte, dass alle Gäste und vor allem die hohen Würdenträger sehen, wer sie dieses Mal schwängert. Aphrodite und fünfzig andere von ihr geladene Gäste schauten dabei zu, wenn sie nicht gerade selbst in gleicher Art und Weise miteinander beschäftigt waren. Dass ihre Tochter das als Hohepriesterin öffentlich tun durfte, nein sogar tun musste, entschuldigt nicht die Entgleisung. So hat sie ihre Tochter nicht erzogen. Auch wenn Mira sich mit ihrem Verhalten gerne auf ihre Mutter beruft. Doch als sie öffentlich von den Männern genommen wurde, war sie im Gegensatz zu ihrer Tochter noch eine rechtlose Sklavin. Nun ja, ein paar Männer waren es dann später auch noch. Mira versteht es als ihr Vorrecht, sich auf diese Art den Vater für ihr Kind zu suchen. Nun behauptete sie letzte Nacht in ihrem Rausch vor allen Gästen, dass sie über eine Schwangerschaft selbst entscheidet. Sie hat damit ein Tabu gebrochen. Über so etwas spricht man einfach nicht, denn die Männer glauben fest daran, dass nur sie alleine darüber entscheiden, wann eine Frau schwanger wird. Das Wissen über die fruchtbaren Tage einer Frau ist hier nur den Huren bekannt. Nur die Priesterinnen, die Hetären und die Huren wissen, wie sie sich vor den Männern schützen können. Die Männer dürfen es niemals erfahren. Ihre heile Welt würde dann untergehen.“
Erstmals 1995 hatte Wolfgang Licht seinen Roman „Die Axt der Amazonen. Eine Penthesilea-Modifikation in Prosa“ bei HAAG + HERCHEN Frankfurt am Main veröffentlicht: Zoe ist eine erfolgreiche Schauspielerin und ihrem Beruf leidenschaftlich verfallen. Ihre Sensibilität ist sowohl Voraussetzung für ihre berufliche Leistung, aber auch schwerwiegendes Hindernis bei der Suche nach persönlichem Glück. Sie leidet unter der Trennung von Erno, dem Vater ihres Sohnes Olaf, dessen Erziehung ihr zu entgleiten droht. Sich der Herausforderung stellend, die Penthesilea zu spielen, verfällt sie dieser Rolle so sehr, dass sie die Grenzen zur Realität nicht mehr wahrnimmt. Schauen wir in die ersten drei Kapitel dieses zwischen Wirklichkeit und (Schau)Spiel changierenden Buches:
„Teil 1
1. Kapitel
Am Karfreitag betritt die Schauspielerin Zoe, von einer Abendvorstellung im Städtischen Theater kommend, ihre Wohnung in der Westvorstadt. Ihr ist heiß. Sie öffnet ein Fenster im Wohnzimmer, beugt sich weit hinaus, doch die Nachtluft erquickt sie nicht. Sie schließt das Fenster, geht ins Bad, bemüht, die Stelle in der Diele zu umgehen, an der der Fußboden unter ihren Schritten einen knarrenden Laut gibt, von dem Olaf, ihr Kind, in seinem Zimmer, dessen Tür stets offen steht, aufwachen könnte. Im Bad dreht sie den Wasserhahn auf, bildet aus beiden Handtellern eine Mulde, in die sie ihr Gesicht presst. Das treibt sie, bis sich ihre Haut kühl anfühlt und der Druck in ihrem Kopf nachlässt.
Sie betritt das schmale Zimmer ihres Sohnes, Ein Lichtstreifen aus der Diele liegt über dem Kinderbett. Sie betrachtet die Umrisse der kleinen, gekrümmt liegenden Gestalt, die sich unter der Zudecke abbildet, die im Schlafe sanften Züge, die wie kleine Fächer aufgebogenen Wimpern über den geschlossenen Augen. Sie atmet seinen Duft, unterdrückt das plötzlich aufschießende Verlangen, das Kind anzufassen. In ihrem Schlafzimmer zieht sie sich um zur Nacht. Doch sie ist noch nicht müde. Eine Weile verharrt sie vor Ernos Bett, das, neben dem ihren stehend, mit einer blauen Seidendecke überzogen ist. Es ist ihr in diesem Augenblick, als berge dieses Bett die Erinnerung an Erno in solch starkem Maße, dass sie die kräftige, untersetzte Gestalt ihres Mannes vor sich zu sehen meint: erdbraune Augen im rötlichen Gesicht, seine ihm wohl unbewusste Bewegung, mit der er eine Haarsträhne aus der Stirn zu streichen versucht.
Vor einem Jahr, auf den Tag genau, war er nach einer heftigen Auseinandersetzung aus diesem Zimmer gegangen. Seitdem hatten sie sich nicht wieder gesehen. Sie setzt sich auf einen Armstuhl neben dem Fenster und überlässt sich der Erinnerung an Erno.
2. Kapitel
Damals, es scheint ihr jetzt wie in einem früheren Leben, hat sie an vielen Abenden vor dem Einschlafen noch in ihrem jeweiligen Rollenbuch gelesen, wobei sie, die Arme über der Bettdecke, Gesten andeutete, einen Satz, eine Sentenz vor sich hinsagte und gelegentlich sogar einen Ausruf tat, wenn sie die Szene fortriss.
Erno hatte ihr vornächtliches Benehmen erduldet, ertragen; es ihrer beruflichen Begeisterung zugutegehalten, darin eine der Eigenheiten gesehen, die man einer Künstlerin nachsehen müsste.
Einmal sprach sie Verse des Heilbronner Käthchens an ihren Geliebten. Vor dem Schlafzimmerfenster hing ein orangefarbener Mond über den Parkbäumen. Ein Vogel, wahrscheinlich eine Amsel, sang ein sehnsüchtig schwermütiges Lied, das, gedämpft durch die geschlossenen Fenster, ihre Worte nicht störte. Sie sprach von ihrer, vielmehr Käthchens, beseligenden Liebe, die voller Selbstaufgabe war. Erno lag so, dass er Zoe den Rücken zuwandte. Plötzlich begannen sich seine Schultern im Rhythmus heftiger werdender Atmung zu bewegen, und es kann sein, dass Zoe, das Käthchen spielend, in einem seltsamen Identifikationsvorgang begriffen, die Wirkung ihres Spiels, ihrer Worte an Erno erproben wollte.
Sie hatte einer Zäsur im Text wegen eine Pause eingelegt, in der der geliebte Graf vom Strahl eine ernüchternde, Käthchen demütigende Bemerkung zu machen hatte. In diesem Augenblick drehte sich Erno ungestüm zu ihr herum, ergriff ihre auf der Bettdecke umherfahrenden Hände, presste und küsste sie. Beugte dann sein Gesicht über ihres, nahe, als versuche er im Schimmer des Mondes ihre Züge zu erkennen: Dass du das gesagt hast! Seine Stimme war unfest, er stammelte vor Erregung. Er hatte ihre Hand losgelassen, sich auf einen Ellenbogen gestützt; strich dann mit der anderen Hand über ihre Schläfe, den Hals, rückte näher, begann sie zu küssen, auf die Stirn, das Gesicht, die Brüste. Und obwohl sie, noch im Bann ihres Spiels, ihn und sich selbst, die Frau Zoe, beobachtete, zog Leidenschaft sie wie in einen Sog, der sie endlich ihres Augenblicksbewusstseins beraubte; ihr einen langen hohen Laut auspresste.
Erno war von ihr geglitten. Sein Gesicht an ihren Leib geschmiegt. Der Mond schien jetzt so hell, dass die Baumkronen draußen im Park Schatten an die Zimmerwände warfen, über ihre Körper, das Laken.
3. Kapitel
In acht Tagen war die Premiere des Stückes. Erno würde diese Aufführung nicht versäumen. Nicht einmal war er einer Erstaufführung, in der Zoe auftrat, ferngeblieben. Und diese Verse, ihr Wortlaut, aber mehr noch Zoes Spiel, ihre Bühnenhingabe an den Partner, würden Erno an ihre Liebe in jener Nacht erinnern. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm jetzt, an diesem Nachmittag, die Sache zu offenbaren, sich ihm anzuvertrauen.
Sie saßen in den Sesseln vor dem Fenster, das im Gegensatz zu denen des Schlafzimmers auf eine verkehrsreiche Straße hinausging, deren Lärm sie nur dadurch auf ein erträgliches Maß dämpfen konnten, indem sie trotz herrschender Schwüle und der verbrauchten Luft im Zimmer das Fenster verschlossen hielten. Zwischen ihnen stand ein Tisch, auf dem Ernos Zeitschriften Platz hatten, Zoes Rollenbuch und ihre beiden Kaffeetassen. An der dem Fenster gegenüberliegenden Wand hing Ernos umfängliche Sammlung von Hieb-, Stich- und Stoßwaffen aus den früheren Epochen der Wehrgeschichte. Da gab es Streitäxte, Morgensterne, Hellebarden, Schwerter und Krummsäbel. Man konnte die Entwicklung des Dolches vom Faustkeil über den Stein- und Knochendolch, den Feuersteindolch, zum Kupfer- und Bronzedolch der Metallzeit verfolgen. Die verschiedenen Entwicklungsstufen der Äxte, worunter sich als besondere Kostbarkeit die Nachbildung einer sogenannten Amazonenaxt befand. Zoes Blick konnte sich in diesem Moment von den durch die schräg stehende Nachmittagssonne zum Funkeln und Gleißen gebrachten Waffen nicht lösen. Ihr war, als fände sie in der Art, wie sie aufgehängt waren und der im Grunde unerklärlichen Tatsache, dass Erno, der ein pazifistischer Charakter war, sie sammelte, einen Fingerzeig, wie sie ihre Sache am besten beginnen könnte.
Da nahm sie aus den Augenwinkeln wahr, dass Erno sie anschaute. Wann ist es soweit, fragte er plötzlich, und Zoe erschrak, als hätte er ihre Gedanken verfolgen können. Sie wusste auch sofort, dass er die Premiere meinte. In einer Woche, sagte sie. Übrigens, du hast schon Verse aus dem Stück gehört. Verse, sagte er, wann denn? Zoe beugte sich vor, griff nach seiner Hand, mit der er ein Buch hielt. - Gestern. Er sah verdutzt zu ihr. Sie stand auf, trat hinter seinen Stuhl und zog Ernos Kopf an ihren Leib. Sie wiederholte: gestern, gestern Abend, im Schlafzimmer, als wir bevor wir ... uns liebten, sagte sie sehr leise.
Er beugte sich nach vorn über den Tisch, um von ihr loszukommen, drehte sich dann um und starrte sie an: Du hast deklamiert, rief er, offenbar absichtlich dieses Wort gebrauchend, um sie herabzusetzen. Das ... das, was du mir gesagt hast, war Theater? Diese ... Worte, eingelernt? Die Art, wie du mich angesehen hast, der Ton deiner Stimme, Schauspielerei? Ihm schien Speichel den Mund zu füllen. Er umschloss die Flüssigkeit mit Lippen und Wangen, schob sie umher wie einen Brocken, der ihm, dem Manne Erno, zum Bolus werden könnte, an dem er erstickte, bis er ihn zerbeißend, zerdrückend hinunterschluckte mit einem hörbaren Geräusch.
Ich fand sie schön, diese Verse, sagte sie. Ich habe dich nicht täuschen wollen. Er war aufgestanden, brüsk; hatte eine Bewegung mit der Hand gemacht, als wolle er die Luft zerteilen; kam dann zurück, um seine Papiere vom Tisch zu nehmen. Willst du deinen Kaffee nicht austrinken? fragte Zoe, damit er sich beruhige. Plötzlich vernahm sie das polternde Rattern der Tatrabahn vor ihrem Hause, als höre sie es zum ersten Mal; die Vibration der Gleiskörper setzte sich durch Straße und Haus bis in ihr Zimmer fort. Erno nahm wie unter einem Zwang seine Kaffeetasse auf, sah hinein, schüttelte den Kopf, wobei unklar blieb, ob er Zoes Frage verneinte oder ob ihm der Vorfall unbegreiflich blieb.
Früher, sagte er plötzlich, empfand ich dein Spiel wie eine zweite, neue Wirklichkeit. Ich habe mich an deiner Kunst freuen können, die, wie ich glaubte, unsere persönlichen Gefühle nicht berührte. Aber das ist anders geworden. Wenn ich dich heute üben sehe, dich reden höre, weiß ich nicht, ob du als meine Frau sprichst oder als irgendeine Judith oder Magdalena. Ich kann bei dir Spiel und Wirklichkeit kaum noch unterscheiden; nicht einmal dann, wenn es um Ernsthaftes geht. Denke ich, du redest mit mir, übst du eine Rolle, und glaube ich, du probst einen Text, sprichst du mit mir.
Es war gestern Abend, dachte Zoe, nur ein äußerliches Missverständnis. Ich hätte eigene Worte finden können, sie wären mir zugefallen. Und sie sagte zu Erno: Das sagst du so, aber dann, später, konntest du spüren, was ich fühlte.
Ja, sagte er bitter, gestern dachte ich es, aber heute weiß ich nicht, ob nicht auch das gespielt war. Schließlich gebrauchst du auf der Bühne nicht bloß Worte. Das war boshaft, und Erno wusste es. - Wenn du deinen Empfindungen selbst nicht mehr traust, kann ich dir nicht helfen. Das sagte sie nun auch kühl, und so war das Gespräch auf ungute Weise zu Ende gegangen.
Zoe blickt in die Dunkelheit hinter dem Fenster. Sie atmet tief auf. Heute glaubt sie zu wissen, was damals in Erno vorging. Er konnte sich nicht verzeihen, auf ihre von ihm sogenannten Theatergefühle mit einem Ausbruch wirklicher Leidenschaft reagiert zu haben. In jenen Tagen, wo er vielleicht gehofft hatte, Spannungen, die seiner geschiedenen Frau wegen schon längere Zeit bestanden, auflösen zu können,
Erno war gegangen. Sein Vortrag im „Haus der Technik“ begann erst in ein paar Stunden. Zoe hatte das Fenster geöffnet, Verkehrslärm überflutete sie. Die brandenden Geräusche erschienen ihr wie Äußerungen des Lebens. Fließendes, treibendes
Bereits 1981 war erstmals im Verlag Neues Leben Berlin das Buch „Der Sohn des Adlers, des Müllmanns und der hässlichsten Frau der Welt. Ein Märchen vom Eis und vom Feuer“ von Waldtraut Lewin erschienen: Das Buch ist eine ebenso skurrile wie zarte Geschichte von einem, der auszog, die Welt zu retten und sich dabei fast selbst verlor. Die hässlichste Frau der Welt kann sich vor Verehrern kaum retten. Sie ist eben eine Sensation! Und so kommt es, dass ihr Sohn gleich zwei Väter hat: Einen stolzen Adler und jenen schönen Müllmann, der eigentlich von der Frau gar nichts wissen will und ihr eben den Gefallen tut…
Als das wundersame Kind dann aber geboren wird – was ihre Mutter in einen tiefen Schlaf versenkt – streiten sich die beiden absonderlichen Erzeuger um die Vaterschaft. Denn dieser Sohn ist zu Höherem bestimmt, wie es scheint. Er hat nichts mehr und nichts weniger vor, als die Welt von allem Übel zu erlösen. Allerdings verliert er darüber seine Mutter aus den Augen – und so etwas tut nie gut. Der Sohn eilt von Abenteuer zu Abenteuer, und überall, wo er auf Unrecht und Verdrehtheiten stößt, schafft er Ordnung. Jedenfalls meint er das, während er weitereilt, getrieben von Neugier und dem Drang nach Gerechtigkeit. Aber nur etwas zu „stiften“ und dann fortzurennen, das reicht nicht aus, wie sich herausstellt. An welchen Ort seiner Taten er auch zurückkommt, immer muss er feststellen, dass sich die Dinge inzwischen zum Schlechten entwickelt haben. Und er kann weder verhindern, dass seine Mutter stirbt und seine Liebe, das kieselsteinerne Fräulein, in seinen Armen ganz und gar erstarrt. Alles scheint aus zu sein für ihn. Aber zum Glück erwachsen ihm mächtige Helfer. All die Schwachen und Betrübten, denen er einst so unvollkommen geholfen hat, verbünden sich für ihn, und gemeinsam sind sie stark. Und da sich außerdem noch seine beiden ungleichen Väter aussöhnen, um ihrem Sohn beizustehen, kann ja die Welt vielleicht doch noch gerettet werden. Wenn man sich auch zunächst eine blutige Nase geholt hat. Aber schließlich wird man aus Erfahrung klug…
Die absonderlichen Abenteuer des Sohns, die ihn mit vielen unglaublichen Geschöpfen zusammenführen und in denen die Welt gleichsam durch ein leicht verzerrendes Brennglas betrachtet wird, sollen erstaunen, vergnügen und den Leser dazu anregen, das „Schiefe“ in diesen Geschichten in ihrem eigenen Kopf gerade zu rücken. Denn eigentlich kann immer nur der verfremdete Blick uns helfen, den Reiz der Wirklichkeit zu genießen. Nur die Fantasie öffnet den Blick. „Der Sohn des Adlers“ knüpft an die Tradition des romantischen Kunstmärchens an, wie wir es von Goethe, von Clemens Brentano und vor allem natürlich von E.T.A. Hoffmann her kennen – und das im Gewand einer modernen, ein bisschen surrealen und ein bisschen schrägen Sprache. Er hat eben, wie gesagt, zwei Väter…
Und so hebt die Geschichte vom wundersamen Kind an:
„Erstes Hauptstück von der merkwürdigen Empfängnis und Geburt des Sohnes, den Gaben des Adlers, der Harmonie der Sphären und der stillestehenden Zeit
Bevor seine Mutter ihn empfing, war sie die hässlichste Frau, die man sich denken kann. Sie war so hässlich, dass sich die Leute auf der Straße bis zu den Knien bogen vor Staunen über ihre Hässlichkeit. Sie hatte eine Haut wie ein Nilpferd, Zähne wie ein Waldeber, Haare, die wie Schilfhalme aussahen, und ihre Augen tränten, und an ihren Händen wuchsen graue Krallen. Aber ihr Herz war wie ein süßer Mandelkern in ihr.
Der Ruhm ihrer Hässlichkeit und ihres süßen Herzens ging in großen Wellen von ihr aus und lockte viele Männer an, denn ein so hässliches Weib zu besitzen ist eine große Ehre. Allen, die um sie warben, blieb bei ihrem Anblick fast das Herz stehen vor Beklommenheit und Entsetzen, aber dies Entsetzen wandelte sich alsbald in eine wilde Entschlossenheit, sie zu haben, und es war, als verfüge sie im Winkel ihrer grauen verschwimmenden Augen über mehr Bannkraft als ein großer Magnet, der so stark ist, dass er das Eisen aus den Schiffen zieht, und sie gehen unter.
Da sie keinen der Freier erhörte, aber auch keinen abwies, zog der Schwarm von Liebhabern ständig hinter ihr her wie ein Königsgefolge. Der eine schleppte ihre abgetragene Handtasche, der zweite ihren Sonnenschirm aus roter verschlissener Seide, der dritte ihren Regenschirm aus schwarzer Baumwolle, der vierte eine Standuhr, damit sie stets wisse, welche Stunde geschlagen habe, der fünfte zwei Zimmerlinden in Töpfen aus Majolika, falls sie im Grünen ausruhen wollte. Der sechste bat sie flehentlich, ein Schleppkleid anzuziehn, damit er ihr die Schleppe tragen dürfe, aber trotz ihrer Güte ließ sie sich nicht dazu bewegen, etwas so Unmodernes wie ein Schleppkleid anzulegen. So musste dieser Freier nutzlos hinter ihr herlaufen und weinte oft, weil er ihr nicht dienen konnte.
Eines Tages im Februar stieg das Thermometer auf golden, ein Taubenpärchen hackte gegen die Fensterscheibe, und die Krokusse im Rasen sprangen mit jenem Geräusch auf, das von Küssen herrührte. Sie verspürte den heftigen Wunsch, auf der Straße vor einem Café zu sitzen und einen Eisbecher mit Rosenblättern und Pfefferminz zu essen und lief so schnell los, dass ihr fast die Absätze von den Schuhen flogen und die Freier kaum zu folgen vermochten. Als sie mit ihren sechs Verehrern schließlich in der Sonne saß, standen die Leute im Halbkreis, um sie zu sehen. Touristen machten Fotos von ihr, um sie zu Hause ihren staunenden Kindern zu zeigen, und zwei Naturforscher stritten sich, ob ihre Haare wirklich welke Schilfhalme seien oder nur so wirkten. Mehrmals musste der sechste Freier, glücklich darüber, etwas tun zu können, die Menge bitten, so viel Platz zu lassen, dass die Sonne durchkomme.
Sie rührte in ihrem Eisbecher mit Rosenblättern und Pfefferminz und hatte plötzlich keinen Appetit mehr. Die Standuhr schlug Mittag und einen Schlag darüber hinaus. Ein großer Schatten fiel auf ihre Hand. Aufblickend, gewahrte sie einen riesigen Adler mit dunkelbraunem Gefieder, dessen gebogener Schnabel auf sie gerichtet zu sein schien. Ihr Herz klopfte stürmisch. Die Krallen des Vogels waren ihren Fingernägeln verwandt, und die gefühllosen Adleraugen glänzten. Sie brach überstürzt auf und zahlte mit einer Muschel. Der Adler gab ihr ein Stück das Geleit, man hörte das gewaltige Rauschen seiner Schwingen noch drei Straßenzüge weiter, so dass der Magistrat annahm, der Staudamm sei gebrochen, und Vorkehrungen zur Rettung der Stadt traf.
Unterwegs, in der quirlenden Menge, die sie umgab, traf sie das Orangerot des Müllwagens wie eine Botschaft. Der Müllfahrer trug eine Mütze aus vielerlei Fellen, aber hauptsächlich vom Kaninchen. Die Haut seiner Hände und seines Angesichts war gelb vor Asche, aber als er die Hand hob, sich den Schweiß abzuwischen, entblößte er einen gemeißelten Arm mit Adersträngen. Seine unförmigen Handschuhe hingen ihm müßig an der Hüfte. Die hässlichste Frau der Welt trat auf ihn zu, und während ihr süßes Herz zu leuchten begann, sagte sie: „Ich glaube, ich liebe dich.“ Weil der Müllwagen lärmte wie ein Wachhund, musste sie ihre Worte wiederholen. Der Müllfahrer besah sie von oben nach unten, darauf von unten nach oben, brach in Gelächter aus und wandte sich ab.“
Zum Superpreis von jeweils 99 Cents stehen diesmal zwei Bücher von Ulrich Hinse und von Klaus Möckel, die sich beide, aber auf sehr unterschiedliche Weise mit unterschiedlichen Zeiten und Menschen befassen – mit Rittern und mit schönen, einflussreichen Frauen:
Erstmals 2014 legte die EDITION digital sowohl als E-Book wie auch als gedruckte Ausgabe den historischer Roman über den Verbleib des Templerschatzes anno domini 1307 „Das Gold der Templer“ von Ulrich Hinse vor: Jaques de Molay, der Großmeister des in der ganzen Welt des Orients und des Okzidents bekannten, geschätzten aber auch gefürchteten Templerordens war entsetzt. Sein Orden sollte aufgelöst, die Ritter verhaftet werden und das riesige Vermögen der französischen Krone zufallen. Die Haftbefehle waren bereits ausgestellt und an alle Gouverneure und Bischöfe in Frankreich verteilt worden. Am Freitag, dem 13. Oktober 1307, sollen in den Morgenstunden überall im Land die Vasallen des Königs jeden Templer festnehmen und einkerkern. Alle Templer zu retten scheint dem Großmeister nicht mehr möglich. Deshalb stellt er in aller Eile drei Maultierkarawanen zusammen, die mit wenigen Leuten das Archiv und das Gold in Sicherheit bringen sollen. Eine Karawane ist für England bestimmt, eine soll über See nach Portugal gehen und eine weitere auf die Festung der Templer nach Ponferrada in Spanien gebracht werden. Der junge flandrische Tempelritter Jan van Koninck hat zusammen mit dem Stellvertreter des Großmeisters die Ehre, die Karawane nach Spanien in Sicherheit zu bringen, als in den Pyrenäen sein Mentor erschlagen wird. Die Verantwortung lastet ab sofort auf seinen Schultern. Gelingt es ihm wirklich, die kleine Karawane gegen alle Widerstände im Winter über die Pyrenäen zu bringen und Ponferrada zu erreichen? Eine stattliche Anzahl französischer Soldaten, geführt von einem alten Landsknecht, hat sich auf seine Spur gesetzt. Und auch innerhalb der sonst eingeschworenen Templer gibt es Widerstände. Es erscheint mehr als fraglich, das Gold vor dem gierigen französischen König Philipp IV. und seiner nicht viel besseren Frau Johanna von Navarra in Sicherheit zu bringen. Ein Roman aus der Zeit des finsteren Mittelalters, in der es ehrenhafte Ritter aber ebenso viele Schurken gab. Der historische Roman beginnt mit einem Kampf und mit dessen überraschendem Ausgang:
„1. Kapitel
Die Glocken am Kirchturm der Stadt Kortrijk in Flandern läuteten. Dumpf wummerte ihr Klang über das Schlachtfeld. Sie verkündeten den glanzvollen Sieg der Flandern gegen die Franzosen. Jan van Koninck, der zweiundzwanzigjährige junge Mann mit den gekräuselten roten Haaren, den blauen Augen und der kräftigen, durchtrainierten Figur unter dem jetzt Blut bespritzten ledernen Wams, stand etwas gebeugt, auf sein blutiges Schwert gestützt, am Rande eines Eschenwäldchens. Eine Wurfaxt, die schon aus normannischer Zeit bekannte Franziska, steckte im Gürtel. Er schaute auf die Szene vor ihm in der Niederung.
Dicht gedrängt vor einem Bach, der sich durch die morastige Senke schlängelte, lagen Hunderte von toten Rittern in ihren ehemals glänzenden, jetzt nach der Schlacht aber stumpfen, blutigen Rüstungen und ebenso viele tote oder schwer verletzte Pferde. Jan summte ein leises Lied. Es war das Totenlied für die Ritter des französischen Königs Philipp des Schönen, der selbst nicht an dem Massaker teilgenommen hatte. Der Sieg war ohnehin eingeplant. An eine Niederlage war nicht im Entferntesten gedacht worden. Deshalb hatte er seinen einäugigen Kanzler Pierre Flote als Feldherrn gesandt und Jaques de Chatillon als zukünftigen Gouverneur gleich mitgeschickt. Die unruhigen Flandern sollten zur Raison und der lukrative Tuchhandel mit England und der Hanse unter französische Kontrolle gebracht werden.
Aber es war dann doch anders gekommen. Fast alle nordfranzösischen Ritter hatten ihr Leben für den König auf dem Schlachtfeld lassen müssen, nur wenige waren entkommen. Über das Schlachtfeld mit den unzähligen Toten und Schwerverletzten wuselten unzählige junge und alte zerlumpte Menschen und Bürger aus Kortrijk, die den Toten und Sterbenden ihre Wertgegenstände abnahmen. Van Koninck nestelte an seinem Wams. Mit etwas Mühe zog er den goldenen Anhänger hervor und betrachtete ihn. Er war, wie die Kette auch, aus purem Gold. Langsam strich er mit seinen Fingern über das Wappen. Ein französisches Wappen, ein Königswappen, was die drei Lilien verrieten. Er hatte es einige Monate vorher von einem französischen Ritter bekommen, der den Aufstand der flämischen Bürger in Brügge gegen die französische Besatzung nicht überlebt hatte. Eigentlich hatte er den verletzten Franzosen aus Wut töten wollen, weil er durch seine Gegenwehr die Flucht des Gouverneurs Jaques de Chatillon ermöglicht hatte. Hasserfüllt hatte Jaques de Chatillon noch zurückgerufen, dass er schon allein deshalb zurückkommen würde, nur um ihm eigenhändig den Kopf abzuschlagen. Der verletzte Ritter hatte sich mit Mühe die Kette mit dem Wappen abgenommen und dem jungen Flandern gegeben. Vielleicht bringt es dir irgendwann einmal Glück, hatte der Franzose gemurmelt, dann war er verschieden. Jan hatte das Medaillon zwar genommen, aber sonst hatte ihn der nach seiner Kleidung offensichtlich adelige Franzose nicht weiter interessiert. Er hatte ihn in seinem Blut liegen lassen und war den anderen flüchtenden Franzosen hinterhergelaufen. Sein Vater Pieter, sein Bruder Wim und er, der jüngste Sohn des Webers Pieter van Koninck, waren kurz darauf wegen ihres Mutes und ihres verwegenen Vorgehens bei der Befreiung von Flandern von Robert von Bethune, dem Grafen von Flandern, zum Ritter geschlagen worden.
Dieses Mal war ihm de Chatillon nicht entkommen. Selbstgefällig war er in die Falle geritten und im sumpfigen Ufer des kleinen Flüsschens vor Kortrijk stecken geblieben. Seine Rüstung war zu schwer, als dass er hätte problemlos absitzen und mit dem Schwert kämpfen können. Das war sein Todesurteil. Die flämische Infantrie war dem schwerfälligen Ritter zu Fuß deutlich überlegen und Jan van Koninck hatte genau aufgepasst, wo Jaques de Chatillon hingeritten war. So kreuzten sich auf dem Schlachtfeld ihre Wege erneut. De Chatillon erkannte sofort, wer sich ihm in den Weg stellte, und versuchte mit kräftigen Schwerthieben, dem Jüngsten der Koninck-Sippe den Garaus zu machen. Aber der flinke, junge Flame wich allen Hieben geschickt aus, wehrte mit seiner Wurfaxt und dem Schwert die Hiebe ab und ließ den Franzosen sich müde schlagen. Wobei Jan höllisch aufpassen musste. Die Fechtkunst von de Chatillon war legendär. Aber dazu gehörte natürlich auch, dass sich der Ritter schnell und trickreich bewegen konnte. Aber genau das fehlte hier. Nur wenige Schritte gelangen dem schwer gerüsteten Ritter im Sumpf. Er sank immer tiefer ein und konnte sich nur noch auf einem Fleck stehend verteidigen, während Jan in seiner leichten Kleidung um ihn herumstapfte. Wenn er in seinem Rücken stand, hatte er Mühe, seinen Gegner durch die Sehschlitze zu erkennen. Als einige weitere Franzosen heranritten, um dem Gouverneur zu Hilfe zu eilen, machte Jan dem Kampf ein schnelles Ende. Er wehrte einen Schlag des Franzosen mit seiner Franziska ab und stieß ihm mit der ganzen Kraft seines rechten Arms das Schwert von unten durch den Rüstungsschlitz zwischen Helm und Harnisch in den Hals. Augenblicklich sackte de Chatillon zusammen und starb. Mit einem Ruck zog Jan sein Schwert aus dem Körper des Sterbenden, um die heranreitenden Franzosen abwehren zu können. Aber als die sahen, dass Reiten in dem Sumpf nicht möglich und ihr Anführer bereits gestorben war, zügelten sie die Pferde und ritten auf festen Untergrund zurück. Jan nahm noch an dem einen oder anderen Scharmützel teil, aber der so ungleich begonnene Kampf war letztlich zugunsten der Flandern entschieden. Das, was niemand zu glauben gewagt hatte, war eingetreten. Die bürgerlichen flandrischen Infanteristen hatten mit ihren selbst gebastelten Waffen gegen die Truppe aus hochdekorierten, gut gerüsteten französischen Rittern gewonnen. Die Ritter waren nicht zuletzt an ihrer Arroganz gescheitert. Flandern war unabhängig geblieben und musste sich Philipp dem Schönen nicht beugen.
14 Jahre vor dem Roman über die Templer, also 2000, hatte Klaus Möckel im Verlag Das Neue Berlin erstmals sein Buch über Frankreichs berühmteste Mätressen „Die Gespielinnen des Königs“ veröffentlicht: „Nun war es wirklich geschehen, sie war die Hure des Thronfolgers. Die Höflinge würden es zwar nicht wagen, ihr das ins Gesicht zu sagen, aber denken würden sie es.“ So beginnt der Autor seine Erzählung über Diane de Poitiers, die Mätresse des späteren Königs Heinrich II., die noch heute als eine der schönsten Frauen in Frankreichs Geschichte gilt. Selbstbewusst und geschäftstüchtig, brachte sie es zu großem Reichtum und fast unbeschränkter Macht. Doch auch die anderen Damen in diesem Band, von denen die berühmteste Madame Pompadour ist, wussten ihre Fähigkeiten im Bett und am Hof zu nutzen. Von Glanz umgeben, meist intelligent und gerissen, umgarnten die Entragues, die Montespan, die Du Barry ihren Herrscher, um ihn dann am Gängelband zu führen. Freilich war ihr Weg gefährlich. Von so manchem Höfling angefeindet und von Hinterhältigkeit bedroht, durften sie nie die Gunst des Geliebten verlieren - das hätte den Untergang bedeutet. Dieses Buch ist ein Sittengemälde, das vier Jahrhunderte französischer Geschichte darbietet. Spannend bis ins Detail, abenteuerlich und voller Witz führt es dem Leser eine Welt vor Augen, die ihn mit ihren bis zum Mord reichenden Intrigen, mit ihrer List und Gewalt, aber auch mit ihrem Charme und ihrer Lebhaftigkeit von Anfang bis Ende in den Bann schlägt. Wie und warum der dafür bestens prädestinierte Autor dieses Buch geschrieben hat, das erläutert Klaus Möckel in seinem aufschlussreichen Vorwort:
„Ist von Gespielinnen des Königs die Rede, denkt man vielleicht zuerst an leicht bekleidete Schönheiten, die sich auf samtenem Pfuhl ihrem leidenschaftlich entflammten Herrscher hingeben. Oder man stellt sich elegante Damen in raschelnden Seidenkleidern vor, bereit zum stürmischen Tête-à-tête mit der entzückten Majestät; Bilder, die sich nicht von ungefähr ergeben: Im Bett errangen Mätressen aller Zeiten ihre nachhaltigsten Siege.
Doch die Rolle der Schönen, die meist aus dem hohen Adel stammten oder zumindest in diesen Stand erhoben wurden, erschöpfte sich keinesfalls im Liebesdienst. Wohl widmeten sie sich dieser Aufgabe mit Leidenschaft, zumal sie zum Dank dafür Gold, Edelsteine, kostbare Gewänder, Ländereien und prächtige Schlösser erhielten. Sie glänzten aber auch in anderen Bereichen. Sie besaßen Bildung, brillierten mit Worten und mit ihrem gesamten Auftreten, verfügten über natürliche Eleganz. Bei Hof wurden sie zu wichtigen Persönlichkeiten; sie redeten in der Mode, in der Kunst und oft sogar in der Politik mit. Zur „Maitresse en titre“ ernannt, verstanden sie sich als Partnerin an der Seite des Königs und liebten den Herrscher meist wirklich.
Im Schutz des Monarchen konnten die jungen Damen ihren Besitzstand sichern und ihre Familien in einflussreiche Stellungen bringen. Über die Liebe zum König versuchten sie, Machtpositionen zu erobern, die Frauen ihrer Zeit sonst verwehrt waren. Zugleich waren sie aber in jeder Hinsicht von der Zuneigung des Herrschers abhängig, gerieten in größte Bedrängnis, wenn sie diese Gunst verloren oder der König aus dem Leben schied.
Um sich im höfischen Intrigenspiel zu behaupten, bedurfte es all ihrer Wachsamkeit und Intelligenz. Von den Königinnen, die sich gekränkt in die Rolle der betrogenen Gemahlin zurückzogen, wurden sie vornehm mit Madame angesprochen, insgeheim jedoch Hure genannt. War die Demütigung zu groß, geschah das manchmal sogar in aller Öffentlichkeit. Die Verschwendungssucht der Mätressen, die den Staat ein Vermögen kostete, wurde ihnen vom Volk verübelt und lieferte Neidern gute Argumente. Doch sie brauchten den Glanz, um bei Hof Anerkennung zu finden. Nur so konnten sie sich auf längere Zeit neben dem König behaupten.
Was den Rang bei Hof betraf, mussten sich die Favoritinnen der Herrscher den Königinnen, die für die Bewahrung der Thronfolge zuständig waren, unterordnen. An Glanz und Schönheit jedoch, oft auch an Reichtum und besonders an der Möglichkeit, den Monarchen zu beeinflussen, standen die Mätressen den Königinnen voran. Je nach Klugheit oder Raffinesse, nach Geschick oder Wendigkeit erhielten sie sich diesen unschätzbaren Vorteil auf möglichst lange Zeit. Sie versuchten nicht selten, ihre Stellung zu festigen, indem sie Kinder gebaren und den König dazu brachten, diese zu legitimieren.
Die berühmteste aller französischen Mätressen ist die Marquise von Pompadour; ihr ebenmäßiges Gesicht mit der hohen Stirn, der schmalen Nase und den wachen Augen schaut uns von den Einbänden vieler Abhandlungen und Werke über die Epoche Ludwigs XV. an. Sie hatte es darauf angelegt, die Geliebte des Königs zu werden, und gelangte, als das erreicht war, zu beachtlichem Einfluss. Sie war gebildet und kunstbegabt, verschwenderisch und mitunter großherzig. Sie verstand es, Allianzen zu schmieden, und mischte sich - keineswegs zum Wohl des Landes - in die Politik ein. Als sie den Herrscher mit ihren Liebeskünsten nicht mehr zu erwärmen vermochte, schaffte sie es, ihre Stellung zu behaupten, indem sie ihm jüngere Gespielinnen zugestand.
Mit der Renaissance tauchen erstmals jene Damen aus dem Schatten der Geschichte auf, die als königliche Favoritinnen zu Macht und Ehren kamen. So gilt Agnès Sorel, die später mit entblößter Brust sogar auf einem Altargemälde dargestellt wurde und dem Leben Karls VII. entscheidende Impulse verlieh, als erste offiziell anerkannte Mätresse in Frankreich.
Die Schicksale bekannter französischer Mätressen, die in diesem Buch nachgezeichnet werden, sind eng mit den Kämpfen und Wechselfällen jener Jahrhunderte, den Religionskriegen und dem Niedergang des Ancien Régime, verbunden. Ihr Leben in Prunk und Überfluss stand häufig in schroffem Gegensatz zum Elend der niederen Schichten. Kriege und Hungersnöte im Verein mit Seuchen wie der Pest oder den Pocken dezimierten immer wieder die Bevölkerung.
Das Buch setzt im 15. Jahrhundert, dem Zeitalter der Jeanne d'Arc, ein und behandelt Lebensläufe bis hin zur Französischen Revolution. Die Gestaltung bewegt sich im Rahmen der geschichtlichen Überlieferung, ohne dass Fakten sklavisch aneinandergereiht werden. Einer anschaulichen Darstellung mögen die zum Teil etwas freier geformten Szenen und Dialoge dienen, genau wie die ins Geschehen verwobenen Anekdoten, die das Denken, Fühlen und Handeln der Protagonisten zeigen. Wie stets im Leben bilden Tragik und Komik, Intelligenz, Dummheit, ja selbst Verbrechen dabei ein Ganzes.
Das Buch handelt von Frauen zwischen größtem Ruhm und tiefster Verachtung, zwischen Macht und Ohnmacht, zwischen Leidenschaft und Resignation, für die es eine Ehre und mitunter ein Fluch war, die Geliebte des Königs zu sein, und genauso widersprüchlich sind ihre Wege. Bisweilen stark und selbstherrlich, dann wieder schwach und verlassen spiegeln sie „Glanz und Elend“ des höfischen Lebens wider, um den Titel eines bekannten Buches von Balzac abzuwandeln. Sie haben geliebt und gelitten, verschwendet, geherrscht und manchmal auch bereut. In ihrem Drang nach Besitz und Macht, aber auch mit ihrer Hoffnung auf erfüllte Liebe stehen sie für eine vergangene Zeit, die unserer Gegenwart dennoch nicht so fern ist, wie es auf den ersten Blick scheinen mag.“
Kommen wir noch einmal auf das Thema Zeitreisen zurück. Würden Sie sich vielleicht mal mit der berühmtesten aller französischen Mätressen treffen wollen, mit der Marquise von Pompadour? Und zwar nicht nur so zum Spaß, sondern um mit ihr ganz ernsthaft über Männer und Frauen, über Liebe und Glück sowie über Macht und Einfluss und darüber zu plaudern, wie man beides gewinnt und – verteidigt. Sie sehen schon, das sind ganz im Sinne von Klaus Möckel gar nicht so sehr historische Themen, sondern sehr gegenwärtige.
Das dürfte jedenfalls eine sehr spannende Unterhaltung werden – noch dazu mit einer nach allen überlieferten Beschreibungen und Bildnissen sehr schönen Frau (schauen Sie sich bitte mal zum Beispiel das elegante „Porträt der Madame de Pompadour“ des französischen Rokoko-Künstlers, Hofmalers und Pompadour-Günstlings François Boucher aus dem Jahre 1758 an) von hoher Bildung und Intelligenz, die mit vielen Gaben gesegnet war, wie Klaus Möckel zu berichten weiß: „Ihr Wissen mochte oberflächlich sein, aber sie hatte die Fähigkeit, es anzuwenden. Für eine Maitresse en titre fehlte ihr zwar die entsprechende Herkunft, doch sie würde alles tun, diesen Makel durch ihre vielfältigen Vorzüge wettzumachen.“ Ob und wie das gelingt, ist frisch und farbig in den „Gespielinnen des Königs“ zu erfahren – fast so, als wäre man als stummer Zuschauer und Bewunderer der schönsten Frauen Frankreichs in Versailles und anderswo direkt dabei. Insofern ist es denn doch eine Art Zeitreise …
Gute Reise also, viel Spaß beim Lesen und Französisch lernen und bis demnächst.
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